Germany 12 points!? Wie National Express den deutschen SPNV-Markt erlebt

Vortrag von Herrn Torsten Schlag, National Express Holding GmbH, Düsseldorf

Herr Schlag ist 46 Jahre alt und arbeitet seit 2015 bei National Express. Er leitet den Bereich Geschäftsentwicklung bei der National Express Holding GmbH. Dabei ist er zuständig für strategische Fragestellungen im Unternehmen, die Teilnahme an Vergabeverfahren, die Mobilisierung gewonnener Verkehre und das unternehmensweite Projektmanagement-Office / Projektportfolio.

Als Teil der internationalen Mobico Group plc sind die deutschen Tochterunternehmen National Express Holding GmbH und National Express Rail GmbH seit über 10 Jahren im hiesigen SPNV Markt tätig. Das Unternehmen wurde in Großbritannien als Busunternehmen für städtischen ÖPNV und Fernbusdienste gegründet. Mittlerweile ist es u.a. auch in den USA, Kanada, Marokko und Spanien tätig, wobei außer in Deutschland nur in Spanien Schienenverkehr (touristisch) betrieben wird. In Deutschland beschäftigt NX mittlerweile über 1000 Mitarbeitende. Seit Dezember 2015 betreibt das Unternehmen die Linien RE 7 und RB 48 in Nordrhein-Westfalen. Ab 2019 übernahm National Express sukzessive auch die Linien RE 5 (RRX), RE 6 (RRX) und RE 4. Mit der Übernahme des Betriebs der Linien RE 1 (RRX) und RE 11 (RRX) im Rahmen der Notvergabeverfahren nach der Insolvenz von Abellio NRW im Februar 2022, wurde National Express zum alleinigen Betreiber des RRX Vorlaufbetriebs und konnte anschließend den Betrieb der beiden Linien bis zum Jahr 2033 im Zuge der regulären Neuausschreibung erfolgreich verteidigen. Gestartet am Reißbrett im Jahr 2012 ist das Unternehmen im Jahr 2024 gemessen am Zugkilometervolumen mit 17,3% Marktanteil die Nr. 2 der im nordrhein-westfälischen SPNV tätigen Eisenbahnverkehrsunternehmen. Im Rahmen seiner Geschichte war das Unternehmen bereits mit unterschiedlichen Branchenentwicklungen konfrontiert. Die Fahrzeugflotte besteht aus 35 Zügen „Talent 2“ für die Linien RE 7 / RB 48 und 88 „Desiro HC“ für die RRX-Linien.

Der Referent befragte zunächst die Zuhörer(innen) nach ihrer Einschätzung und Bewertung zum gegenwärtigen Zustand des SPNV-Marktes, wobei hier die Skepsis aufgrund der gegenwärtig unzureichenden Angebotsqualität überwog.

Als Folge der Bahnreform und Regionalisierung des Nahverkehrs sind mit den Aufgabenträgern neue Akteure im SPNV hinzu gekommen, die über die Vergabe von Verkehrsleistungen, Vertrieb und Fahrzeugbereitstellung maßgeblichen Einfluss ausüben. NX hat für die Linien RE 7 / RB 48 einen Nettovertrag (eigene Erlösverantwortung) für die RRX-Linien dagegen einen Bruttovertrag erhalten.

Corona bedeutete für die gesamte ÖPNV-Branche einen erheblichen Einschnitt. Zeitweilige Fahrgastverluste von bis zu 75% haben die Kalkulationen von NX für die Ausgestaltung von Geboten aus dem Jahr 2017 komplett überholt. Nur durch die Rettungsschirme von Bund  und Ländern in den Jahren 2020 – 2022 konnten Insolvenzen der EVU abgewendet werden.

Durch die Einführung zunächst des 9.-€ - und anschließend des 49.-€ - Deutschlandtickets haben sich die Fahrgastzahlen wieder auf das Vor-Corona-Niveau erhöht, wobei allerdings eine Verschiebung in den Freizeitverkehr an Wochenenden stattfindet. NX verfügt hier über exakte Zahlen, da alle eingesetzten Fahrzeuge mit Fahrgastzählgeräten ausgestattet sind.

Beide Angebote führten und führen weiterhin zu erheblichen Einnahmeverlusten, deren Übernahme durch Bund und Länder zunächst nur bis 2026 gesichert ist und NX insbesondere bei den Nettoverträgen Probleme bereiten.

Erhebliche Risiken bestehen zudem bei der Kalkulation von Energie- und Personalkosten sowohl über die Gesamtlaufzeit von Verkehrsverträgen incl. Vorlauf (20 Jahre) als auch beim Abschluss einzelner Lieferverträge / Tarifverträge. Die zugrundeliegenden Indizes sind hier erheblichen Schwankungen unterworfen. So wurde z.B. ein Verbraucherpreisindex von 1-2% jährlicher Steigerung unterstellt, der aber bei zeitweiligen Inflationsraten von 7% deutlich überholt war.

Beim Einkauf von Fahrstrom werden Verträge mit 2-jähriger Laufzeit geschlossen, wobei die Branche bemüht ist, angepasste neue Indizes zu entwickeln die auch in die Ausschreibungen Eingang finden

Bei den Personalkosten bildet der verwendete Index die tatsächliche Entwicklung immer weniger ab. Neben Gehaltserhöhungen sind nunmehr auch geänderte Arbeitszeitmodelle zu berücksichtigen. Inzwischen steht ein PKI SPNV 2.0 zur Verfügung, der auch in die Bestandverträge mit den Aufgabenträgern übernommen wurde.

Der Fachkräftemangel im Fahrdienst hat jedoch Leiharbeitsfirmen auf den Plan gerufen, die bei den EVU fest angestellte Lokführer abwerben und zu höheren Gehältern an die EVU zurück vermieten. Die Gehaltsdifferenz liegt hier z.T. bei 2.000.-€ monatlich. Bei NX machen die Lokführer von Personaldienstleistern inzwischen 10% des Personals aus.

Da NX noch ein relativ junges Unternehmen ist, steht es jedoch erst am Anfang des Fachkräftemangels, Altersabgänge stehen in den nächsten Jahren bis etwa 2030 noch nicht an.

Dennoch musste bereits ein reduzierter Notfahrplan mit Teilausfällen auf den RE 4 und 11 in n Kraft gesetzt werden.

Der Zustand der Infrastruktur ist für 80% der Verspätungen und Zugausfälle verantwortlich, wobei die EVU dennoch mit Abzügen und sogar Pönalen belegt werden. Diese sind inzwischen bei 500.- Mio.€ angekommen.

Für den Infrastrukturbetreiber DB InfraGO bestehen hingegen keinerlei Erfolgsanreize für die Verfügbarkeit der Strecken. Zudem verlangt dieses Unternehmen nunmehr auch Sicherheitsleistungen von den EVU für die Zahlung der Trassenentgelte. Daher werden künftig die Pönalen für nicht vom EVU zu vertretende Infrastrukturmängel gesenkt, für Fahrtausfälle z.B. wegen Personalmangel dagegen erhöht.

Abschließend thematisierte Herr Schlag die unterschiedlichen Wahrnehmungen auf Seiten der Aufgabenträger und der EVU. Währen die Aufgabenträger den EVU häufig eine Vollversorgermentalität mit umfassender  Risikoabsicherung unterstellen, sehen sich die EVU häufig mit immer weiter kleineren Wertschöpfungsketten zum Einstieg auch kleinerer Anbieter konfrontiert und der Aussicht, dass der steuerfinanzierte DB-Konzern notfalls einspringen kann.

Das Fazit lautete, dass sich Aufgabenträger und EVU gegenwärtig in einer gemeinsamen Krisensituation befinden, die aber durch verantwortliches Marktverhalten aller Beteiligten dennoch erfolgreich sein kann. Die Insolvenz eines EVU führt dagegen regelmäßig auch zu Mehrkosten bei den Aufgabenträgern.

Link zu den Vortragsfolien.

Weitere Informationen: 

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