Das Deutschlandticket - Fluch oder Segen für die Verkehrswende

Vortrag von Herrn Dr. Oliver Mietzsch, Geschäftsführer der OWL Verkehr GmbH sowie der Westfalentarif GmbH, Soest

Zeitlich passend zur Entscheidung der Verkehrsministerkonferenz zur Anhebung des Preises für das Deutschland-Ticket auf 58.-€ referierte Herr Dr. Oliver Mietzsch, Geschäftsführer der OWL Verkehr GmbH sowie der Westfalentarif GmbH am 24.09. zum Thema

 „Das Deutschlandticket - Fluch oder Segen für die Verkehrswende“

 

Das Thema Deutschlandticket war bereits einmal Gegenstand eines WVV-Vortrages vom 20.04.2023 https://rhein-ruhr-westfalen.dvwg.de/aktuelles/details/das-deutschland-ticket-ursprung-entwicklung-zukunft-wie-die-tarif-revolution-nach-deutschland-kam-1.html

Herr Dr. Mietzsch, geboren 1962 in Saarbrücken, verheiratet, gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann. Nach Lehre und Zivildienst erwarb er die allgemeine Hochschulreife und studierte anschließend Politikwissenschaft mit den Nebenfächern Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg/Lahn, der London School of Economics sowie der Freien Universität Berlin mit dem Abschluss als Diplom-Politologe. Seine ersten  berufliche Stationen waren im Europäischen Parlament sowie im Deutschen Bundestag. Seit 1995 war er beim beim Deutschen Städtetag/ Städtetag NRW beschäftigt, zunächst in der Abteilung Europa und Ausland, seit 1999 als (Haupt)referent für Verkehr und Tiefbau. Von 2011 - 2021 war er Geschäftsführer des Zweckverbands für den Nahverkehrsraum Leipzig, einem von fünf SPNV-Aufgabenträgern in Sachsen. 2019 promovierte er zum Dr. rer. pol. an der TU Chemnitz mit einem Finanzierungsmodell für die Schieneninfrastruktur in Städten. Von  2021-2022 war er Commercial Director bei Beacon Rail Leasing Ltd. - einem britischen Schienenfahrzeugleasingunternehmen. 2022 trat er in die in die Geschäftsführungen der OWL Verkehr GmbH sowie der Westfalentarif GmbH, der zweitgrößten Flächentariforganisation in Deutschland.

Dr. Mietzsch ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum ÖPNV und Mitglied des Herausgeberkreises des Handbuches der kommunalen Verkehrsplanung. Er lebt in Köln und Bielefeld.

Zunächst stellte der Referent kurz die Eckwerte des aktuellen Deutschland-Tickets vor. Es handelt sich um ein digitales Abonnement mit einjähriger Laufzeit, welches aber monatlich gekündigt werden kann. Neben dem Standardpreis von 49 / 58.-€ werden ermäßigte Versionen für Schüler/ Studenten und als Sozialticket angeboten. Erhältlich ist es per App oder als Chipkarte. Es ist ein „No Frills“- Angebot ohne Zusatzleistungen wie z.B. Mitnahme am Wochenende oder Übertragbarkeit. In NRW bestehen Zubuchungsangebote für die erste Wagenklasse (75,20.-€) und zur Fahrradmitnahme (42.-€). Zusätzlich bieten einige kommunale Verkehrsbetriebe Zusatzleistungen auf das Deutschlandticket an, um die Kundschaft zu binden, d.h. dass auch das Deutschlandticket weiterhin bei ihnen gekauft wird.

Das Ticket wurde zum 01.05.2023 per Bundesgesetz eingeführt, welches allerdings die Umsetzung auf die Länder delegierte, faktisch landete die Aufgabe jedoch bei den kommunalen Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen. Die Laufzeit des Angebotes war bis zum 31.12.2024 befristet. Die im Vergleich zum Bezugsjahr 2019 um 3 Mrd.-€ reduzierten Einnahmen gleichen Bund und Länder bis Ende 2025 jeweils zu Hälfte aus.

Die Verkehrsunternehmen verloren zunächst 70% ihrer Einnahmen, zugleich generieren sie derzeit aus dem Deutschlandticket 60% der aktuellen Einnahmen. Da das Ticket erst zum 01.05. 2023 eingeführt wurde, stand für dieses Jahr ein Ausgaberest von 350.- Mio.€ zu Verfügung der zunächst in das Haushaltsjahr 2025 übertragen wurde, dann jedoch zur Haushaltskonsolidierung dem allgemeinen Bundeshaushalt wieder zugeführt werden musste. Eine über das Jahr 2025 hinausgehende Beteiligung an der Finanzierung des Deutschlandtickets hat der Bund bisher abgelehnt und in der Verkehrsministerkonferenz auf die Möglichkeit zu Preiserhöhungen hingewiesen. Dieses Verhalten wird ermöglicht durch die fehlende Konnexität auf Bundes- im Gegensatz zur Länderebene, obwohl hier weiterhin ein Bundesgesetz ausgeführt wird.

Auf einer Deutschlandkarte zeigte Dr. Mietzsch die Regionen mit hohen, mittleren und geringen Abnahmequoten. In Regionen mit bisher niedrigem Tarifniveau, vorwiegend in Ostdeutschland  ist die Abnahme geringer als in Ballungsräumen mit hoher Angebotsdichte aber auch höheren Fahrpreisen. Zugleich vergrößert die hohe Abnahme auch das Defizit bei den gesamten Fahrgeldeinnahmen. In OWL beträgt das jährliche Delta 80.-Mio. € mit steigender Tendenz, da der Verkauf von Semester- und Sozialtickets gerade erst anläuft.

Das eezy-Ticket als ggfs. kostengünstigere Variante kommt bisher bei 3,5 Mio. Fahrten lediglich auf einen Marktanteil von 3,5 %.

Für die anstehende Einnahmeaufteilung werden 3 Varianten genannt, welche zeitlich nacheinander zum Einsatz kommen sollen, und in der letzten Umsetzungsphase für eine größtmögliche Verteilgerechtigkeit sorgen sollen:

  1. Die Einnahmen verbleiben dem verkaufenden Verkehrsunternehmen
  2. Zuordnung der Einnahmen nach Kundenadressen / Postleitzahlen (ab 2024)
  3. Nachfrageorientierte Einnahmeaufteilung.

Die letztgenannte Variante führt sicherlich zu der gerechtesten EAV in Abhängigkeit zur erbrachten Transportleistung, erfordert aber den größtmöglichen Aufwand bei der Reisendenerfassung.  Auch hier sind die Interessen von SPNV- und ÖSPV-Betreibern unterschiedlich. Während der SPNV wegen der höheren Fahrtweiten nach Zugkilometern abrechnen möchte, favorisieren die ÖSPV-Anbieter eher die Personenkilometer als Maßstab. Zudem wird eine datenschutzkonforme Lösung für ein mögliches Handy-Tracking gesucht.

In der Diskussion wird zunehmend auch eine gesamtwirtschaftliche Perspektive betrachtet.

Die ermittelten Zahlungsbereitschaften wurden für Nicht-Nutzer mit 31,66 €, Nutzer 62,90 €, davon Altkunden 66,60 € und Neu-Abonnenten 59,20 € ermittelt. Die Konsumentenrente pro Nutzer beträgt 16,9 €, insgesamt 178.-Mio.€ monatlich und 2,2 Mrd.€ jährlich. Sie erbringt somit bereits einen erheblichen Deckungsbetrag für die Einnahmeausfälle. Werden neben den Nutzenkomponenten Konsumentenrente, Vermeidung externer Effekte auch noch positive Wirkungen durch das Ticket für Handel und Gastronomie einbezogen, erreichen die kumulierten Nutzenwirkungen eine Höhe von fast 4 Mrd. EUR jährlich.

Für die Umweltbilanz maßgeblich ist der Anteil der aus dem Pkw in den ÖPNV verlagerten Fahrten.

Die bislang vorliegenden unterschiedlichen Studien unterstellen zum einen 1 verlagerte Fahrt zu 4 induzierten Neuverkehren, andererseits in Abhängigkeit von der Nutzungshäufigkeit:

  • Bei regelmäßigen Nutzern 9% Mehrverkehr, aufgeteilt 7% verlagert, 2% induziert,
  • Bei gelegentlichen Nutzern  23% Mehrverkehr, 17% verlagert, 6% induziert
  • Bei Selten - Nutzern  39% Mehrverkehr, 36% verlagert, 3% induziert

Hierbei kontrastiert die größere Zunahme der Verkehre bei den weniger Nutzenden mit der Gesamtzahl  von Fahrten, die eindeutig von den Stammkunden ausgeht.

Die unterschiedlichen Ergebnisse der div. Untersuchungen sind in einer Studie des Referenten gemeinsam mit Andreas Krämer   Zukunft Deutschlandticket: Vom Wohlfahrtsgewinn zu neuen Finanzierungsmöglichkeiten  beim VARI-Institut dargestellt.

Das abschließende Fazit dieser Studie lautet:

„In der öffentlichen Diskussion entsteht durch eine übermäßige Fokussierung auf die Kosten der Finanzierung des Nahverkehrs und hier insbesondere des DT der Eindruck, das DT zum Preis von monatlich 49 Euro wäre eine volkswirtschaftliche Belastung. Wie die eigenen Abschätzungen belegen, ist das Gegenteil der Fall. Das DT generiert einen Nettogewinn von knapp 2 Mrd. Euro jährlich, der sich ausbauen lässt, wenn es gelingt, den Anteil der Neu-Abo-Kunden oder ÖPNV-Systemeinsteiger zu erhöhen. Die positive gesamtwirtschaftliche Bewertung lässt eine Perspektivenerweiterung sowohl in Hinblick auf eine weitergehende Finanzierung des ÖPNV aus dem allgemeinen Steueraufkommen als auch mit Blick auf den einzelwirtschaftlichen Nutzen durch Beiträge der Nutznießer eines guten ÖPNV-Angebotes zu, und zwar dahingehend, dass es gelingen könnte, den Preis des Deutschlandtickets stabil zu halten (und damit planbar) und gleichzeitig den ÖPNV finanziell besser auszustatten.“