Am 27.10. 2015 referierte Herr Christoph Gipp zum Thema Marktentwicklungen im Fernbusverkehr.
Herr Gipp ist Geschäftsführer für den Bereich Mobilität am IGES Institut Berlin, welches zusätzlich zu seinen ursprünglichen Geschäftsfeldern auch den Themenschwerpunkt Mobilität bearbeitet.
Nach dem Studium des Verkehrsingenieurswesens war er seit 2001 in den thematischen Schwerpunkten der strategischen Verkehrsplanung,
der Angebotsoptimierung und Betriebsplanung im straßen- und schienengebundenen Personen- und Güterverkehr sowie in der Verkehrssicherheitsarbeit aktiv. Er fungiert zudem als Beirat in mehreren verkehrsbezogenen und –wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Ausschüssen. Vor seiner Tätigkeit beim IGES – Institut war er in leitenden Funktionen für die Verkehrs- und Betriebsberatung und das internationale Beratungsgeschäft im Konzern der DB AG beschäftigt.
Der Vortrag begann zunächst mit den politischen Rahmenbedingungen und ausgewählten Aspekten der Liberalisierung. Anschließend erfolgten eine Kundenanalyse (wer fährt Fernbus ?) und eine Einschätzung der Auswirkungen auf den Bahnverkehr.
Nach mittlerweile mehr als 2,5 Jahren hat sich der Fernbus als Mobilitätsalternative auf dem deutschen Fernverkehrsmarkt erfolgreich etabliert, die langfristige Entwicklung ist allerdings noch von vielen Unwägbarkeiten geprägt.
In 2011 hatte erstmals die Firma DeinBus die Zulässigkeit für ein Fernverkehrsangebot auf der Straße gegenüber der DB AG gerichtlich durchgesetzt. Zur Begründung hatte das Gericht darauf verweisen, dass das neue Busangebot im Niedrigpreis – Segment auf einen anderen Kundenkreis Ziele als das auf der Strecke bestehende Bahnangebot im Fernverkehr. Mit der Änderung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) zum 01.01.2013 traten die heute bekannten Player in das Geschäft ein wie z.B. MeinFernbus (Betrieb schon in 2012 aufgenommen), Flixbus 2013, Deutsche Post Mobility 2013, city2city 2014, oder zuletzt Megabus, ebenfalls 2014. Nach dem Rückzug von city2city und dem Ausstieg des ADAC aus der Kooperation mit Postbus bedienen diese Firmen gemeinsam mit der Bussparte der DB AG als Teil der etwa 30 - 40 unabhängigen Einzelunternehmen das Angebot im Fernbusverkehr, wobei das fusionierte Unternehmen MeinFernbus / Flixbus einen Marktanteil von derzeit ca. 73% aufweist. Die Deutsche Touring Gesellschaft (DTG) ist weiterhin vorwiegend in ihrem angestammten Geschäftsfeld Auslandsverkehr tätig. Die Fahrleistung wird bis auf wenige Ausnahmen von mittelständischen Busunternehmen als sogenannte Buspartner (im Auftrag der Fernbusmarken) erbracht.
Im Gegensatz zu der eher zögerlichen Angebotspolitik der DB AG hat die SNCF unmittelbar nach der Marktöffnung in Frankreich ein landesweites Fernbusprodukt „Ouibus“ offensiv angekündigt.
Herr Gipp stellte kritisch fest, dass unterschiedliche Zuständigkeiten und Genehmigungspraktiken der Bundesländer die Marktbeobachtung erschweren und auch eine Betriebskontrolle der zuständigen Behörden erschwere. Da die Art und Weise der Fahrplandarstellungen nicht immer den gängigen Anforderungen entsprechen, sei das Angebot insgesamt noch zu wenig transparent. Vielfach werden nur Punkt zu Punkt Fahrplanauskünfte dargestellt anstelle echter Fahrpläne, die z.B. auch alle Unterwegshalte und den Fahrtverlauf angeben müssen. Die Zahl der bestehenden Linien lag in Januar 2013 noch bei ca. 60 und zum Vergleich im Oktober 2015 schon bei mehr als 326. Die Zahl der derzeit verkehrenden wöchentlichen Fahrtenpaare gibt der Referent nach eigenen Marktanalysen mit über 4.600 Fahrtenpaaren je Woche an. Allgemein nehme der Verkehr in der Wintersaison immer leicht ab, wodurch sich der hohe Anteil touristischer Relevanz des Fernbusses andeutet. Im Kernnetz ist allmählich eine Marktsättigung anzunehmen sein.
Evaluationsbedarf gebe es entsprechend der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zudem bei Arbeits – und Sozialstandards sowie Sicherheitsfragen. Diese Aufgaben sollten kurz bis mittelfristig angegangen werden.
In der Entwicklung der Fahrpreise hält sich trotz erster Preisanstiegstendenzen im Verlaufe von 2015 ein extrem niedriges Preislevel. Aktuell sinken die Preise im Durchschnitt, wenngleich auf einzelnen Linien steigende Preise bereits zu beobachten sind. Ein weiterer Verbleib des niedrigen Preisniveaus könne nicht auf Dauer durchgehalten werden, allerdings gelte es, die Kundschaft, die man über günstige Preise gewonnen hat, auch bei höherem Preisniveau zu halten.
Erfahrungen aus anderen Ländern legen nahe, dass z.B. der Nachtverkehr durchaus Chancen bieten, als Premium – Angebot etabliert zu werden. Die aktuellen Fahrgastzahlen lägen in 2014 bei 16 Mio. gegenüber 128 Mio. im SPFV, also schon ein beachtliches Volumen. Allerdings verhielten sich die Fahrgastzahlen von Bus und Bahn nicht kommunizierend, was sich daraus erklärt, dass Fernbuskunden sowohl aus dem Segment Schiene (sowohl Nah- als auch Fernverkehr) als auch Straße (Selbstfahrer, Mitfahrer und Mitfahrgelegenheiten) stammen. Dazu kommt ein nicht unerheblicher Anteil „induzierter“ Neuverkehre. Der Auslastungsgrad liegt mit 51% geringfügig besser als der des SPFV.
Die Betreiber zeichnen sich durch hohe Innovationsfähigkeit (schnelle Einführung der Fahrradmitnahme, Check – in – App, elektronisches Ticketing) aus.
Die aktuell zu beobachtenden Trends der Marktentwicklung sind die Internationalisierung der neuen deutschen Fernbusanbieter (Fahrten ins benachbarte Ausland, Gründung von ausländischen Niederlassungen) und die weitere Produktdifferenzierung (Nachtverkehre), wobei eine Fahrgastbeförderung in Betten bisher noch nicht zugelassen ist, im Unterschied z.B. zu Großbritannien. Eine Nachfrage hierfür ist zu vermuten, insbesondere wenn die DB ihr Nachzugprogramm zurückfährt, wenn keine Ersatzinvestitionen in das Wagenmaterial mehr getätigt werden sollten.
Barrierefreiheit im Busverkehr ist gesetzlich geregelt und schreibt bedeutet die Ausrüstung der Busse mit mindestens zwei Stellplätzen für Rollstuhlnutzer verbindlich vor (gilt ab dem 1. Januar 2016 für Kraftomnibusse, die erstmals zum Verkehr zugelassen werden und nach Ablauf des 31. Dezember 2019 für alle Kraftomnibusse).
Die Kunden des Fernbusses sind nach ersten Befragungen mehrheitlich jüngere Fahrgäste von 18 – 29 Jahren (52%). Senior(inn)en sind bislang unterrepräsentiert, ihr Anteil kann aber bei vermehrter umsteigefreier Bedienung z.B. von Touristikzielen deutlich steigen. Das Einkommensniveau ist bei einer Erwerbsquote von 50% leicht unterdurchschnittlich, wobei aber durchaus auch ein bedeutsamer Anteil wahlfreier Kunden (Pkw verfügbar) vermutet werden kann. An Fahrtzwecken überwiegt der private (53%) und der touristische (22%) Bereich, allerdings finden auch Geschäftsreisen häufiger mit dem Fernbus statt, wenn die Reisezeit attraktiv ist. Für Berufspendlerverkehre ist der Fernbus dagegen eher weniger gefragt, da hier kürzere Strecken gefahren werden, und Pendler erheblich dichtere Taktfrequenzen und hohe Reisegeschwindigkeiten erwarten. Es ist eine mögliche Zukunftsoption, dass Fernbusangebote regional besser mit steuerfinanzierten ÖPNV-Angeboten verzahnt werden, falls z.B. Aufgabenträger nach der derzeit in Verhandlung befindlichen Revision der Regionalisierungsmittel SPNV–Leistungen nicht wie geplant weiterentwickeln und bestellen könnten.
Die Bahn hat auf den neuen Wettbewerber Fernbus mit einer neuen Fernverkehrsstrategie und Preisoffensive reagiert, obwohl sie selbst einer der relevanten Fernbusanbieter ist. Hierzu wird auf den Inhalt des Vortrages von Herrn Martin Schelter von DB Fernverkehr vom 28.04.2015 verwiesen. Herr Gipp erwartet, dass die DB durch einen Strategiewechselerfolgreich Marktanteile sichern und in einigen Kundensegmenten ausbauen wird.
Als wichtige zukünftige Herausforderungen benannte der Referent abschließend die Gewinnung von qualifiziertem Fahrpersonal - Stichwort Fachkräftemangel - sowie von Auftragsunternehmen.
Auch für die Infrastruktur, insb. Haltestellen, sei eine gewisse Standardisierung bei Lage, Ausstattung und Benutzungsentgelten anzustreben, wobei die Interessen der Kommunen beim Fernbus völlig unterschiedlich sind. Wenn wie im Falle von z.B. Dresden der Fernbus deutlich zur touristischen Erschließung beiträgt und somit für die Stadt erlebbare Mehrwerte erkennen lässt, ist auch ein höheres kommunales Engagement bei der Errichtung von Fernbushaltestellen zu erwarten. Vielfach verhindert noch die laufende Zweckbindung von GVFG – geförderten Busbahnhöfen eine Mitbenutzung durch Fernbusse.
Anzustreben ist schließlich eine vollständige Integration des Fernbusses in durchgängige Mobilitätsketten mit durchgängigen Fahrausweisen und einheitlichen Auskunftssystemen. Eine Kannibalisierung des aufgabenträgerfinanzierten ÖPNV ist zu vermeiden. Die Diskussion um die Busmaut greift nach Ansicht des Referenten zu kurz und muss versachlicht werden. Wichtiger noch und dringend erforderlich sei eine grundsätzliche politische Entscheidung über eine faire Infrastrukturfinanzierung.
Abschließend stellte Herr Gipp fest, dass bei allem Verbesserungsbedarf aus Verbrauchersicht die mit der Freigabe des Fernbusverkehrs angestrebten Ziele preisgünstige Angebote, Umsteigefreiheit und Bedienung auch abseitiger Räume schon jetzt durchaus erreicht seien.
Die zum Vortrag gezeigten Präsentationsfolien finden Sie im Download – Bereich.
Weitere Informationen unter www.iges.de