Kostenloser ÖPNV zur Vermeidung von Dieselfahrverboten?

Die Simulation zeigt, dass andere Maßnahmen wirkungsvoller sind. Vortrag von Herrn Prof. Johannes Weyer und Herr Marlon Philipp, TU Dortmund

Am 30.04.2019 referierten Herr Prof. Johannes Weyer und Herr Marlon Philipp zum Thema

„Kostenloser ÖPNV zur Vermeidung von Dieselfahrverboten? Die Simulation zeigt, dass andere Maßnahmen wirkungsvoller sind.“

 

Eine Forschungsgruppe aus dem Bereich Techniksoziologie der TU Dortmund hat mithilfe der Software SimCo (Simulation of the Governance of Complex Systems) die Chancen des kostenlosen ÖPNV für eine deutsche Großstadt simuliert. Die äußeren Rahmenbedingungen werden in Anlehnung an Geels 2011 in 3 Ebenen unterteilt: Nischeninnovationen die sich ohne staatliche Förderung etablieren, sozio-technische Veränderungen, zumeist verursacht durch großräumigere Anwendung und Akzeptanz neuer Technologien sowie sich verändernde übergeordnete Rahmenbedingungen (Klima, Umwelt, Gesetzgebung).

Mit dem Programm MatSim soll es auch auf dem Gebiet der Soziologie möglich sein Verhaltensprognosen für eine repräsentative Zahl von Akteuren in Abhängigkeit von unterschiedlichen Rahmenbedingungen anzustellen.

Grundlage der Simulation ist die Programmierung von 6.000 Agenten und 600 Routen, 3 Fahrtzwecken  und einem angenommenen Modal Split, welcher den Verhältnissen in Dortmund entspricht.

Dabei werden die Agenten folgenden Verhaltensmustern zugeordnet: „Pragmatisch“: 1000, „Ökologisch“: 600, „Indifferent“: 1.800, „Penny Pincher“ = sparsam: 600 und „Bequem“: 2.000.

Diesen wurden sodann 4 Transportqualitäten: „Preiswert“, „Schnell“, „Ökologisch“ und „Komfortabel“ gegenübergestellt und deren Bedeutung für die 5 Agententypen ermittelt.

Im nächsten Schritt wurde festgestellt, in welcher Umfang 4 Transportarten: ÖPNV, Fahrrad, konventioneller Pkw und Elektrofahrzeug die zuvor genannten Qualitäten erfüllen.

Interventionsszenarien waren „kein Eingriff“, „Soft Control“ = Road Pricing u.a., „Hard Control“ = zeitlicher und  / oder  räumlicher Ausschluss des Pkw-Verkehrs, sowie eine Kombination der beiden Eingriffsvarianten.

Es wurden fünf konkrete Maßnahmen untersucht:

1) Rad: Komforterhöhung durch bessere Infrastruktur und Pedelecs,  

2) Rad: Netzerweiterung durch Rad-Schnellwege und Umwidmung von MIV-Spuren,

3) Pkw: Externe Kosten internalisieren durch zusätzliche Maut oder Mineralölsteuererhöhung,

4) Pkw: Geschwindigkeitsbegrenzungen inner- und außerorts,

5) Kostenloser ÖPNV.

Die unterschiedlichen Agententypen reagieren entsprechend ihrer Prioritätensetzung und des Erfüllungsgrades der einzelnen Transportarten unterschiedlich intensiv auf die angewandten Steuerungsmaßnahmen.

Im Ergebnis zeigten sich die umfassendsten Verhaltensänderungen bei der Pkw-Nutzung durch die  Maßnahmen 1,3 und 4, d.h., im Bereich des Radverkehrs  können schon durch kleinere Verbesserungen an der Infrastruktur größere Verlagerungseffekte erzielt werden. Repressive Maßnahmen gegenüber dem MIV wären ebenfalls erfolgreich, der kostenlose ÖPNV erzielt dagegen so gut wie keine Verlagerungseffekte. Eine Kombination aus kostenlosen ÖPNV und (notwendiger) Angebotsausweitung könnte zwar ein anderes Ergebnis erzielen, wurde jedoch in diesem Forschungsstadium (noch) nicht untersucht.

Das Ergebnis: Die erwarteten positiven Effekte des Nulltarifs auf die Umwelt bleiben aus. Eine Erhöhung der Kraftstoffpreise oder Tempolimits stellen effektivere Alternativen zum kostenlosen Nahverkehr dar, so die Forscherinnen und Forscher.

Damit erweisen sich durch den Bund eilig aufgelegten Programme zum kostenlosen Nahverkehr in einigen Modellstädten in Bezug auf Verlagerungs- und Umweltaspekte als weitgehend wirkungslos. Sie bleiben damit ohne wissenschaftlichen Nachweis auf lediglich politische Außendarstellung beschränkt.

Die zum Vortrag gezeigte Präsentation finden Sie im Download-Bereich