Finanzierung des ÖPNV

Vortrag von Dr. Horst Zierold, Via Verkehrsgesellschaft mbH Essen vom 30.10.2012

Am 30.10.2012 referierte Herr Dr. Horst Zierold, Vorstand der Essener Verkehrs AG und Geschäftsführer der VIA Verkehrsgesellschaft mbh, Essen, zum Thema „Finanzierung im ÖPNV“. Herr Dr. Zierold hat früher das Amt des Kämmerers der Stadt Essen bekleidet und ist Mitglied der Zukunftskommission ÖPNV der Landesregierung von Nordrhein – Westfalen.

Einleitend hob der Referent zunächst die gesellschaftliche Bedeutung des ÖPNV hervor: Demnach ist es mittlerweile unbestritten, dass die Bedeutung des ÖPNV in den nächsten Jahren aufgrund geänderter Rahmenbedingungen weiter zunehmen wird. Insbesondere bei jüngeren Leuten besteht eine hohe Nachfrage nach integrierten Mobilitätskonzepten und damit auch nach vermehrten Leistungen des klassischen ÖPNV. Auch ist der Bevölkerungsanteil ohne Zugang zum MIV mit 40% nach wie vor erheblich. Ein hochwertiges ÖPNV – Angebot ist zudem ein entscheidender Standortfaktor. So spielte z.B. auch die ÖPNV-Anbindung bei der Errichtung der Thyssen-Krupp-Hauptverwaltung und der Ansiedlung des Deutsche Bank-Call Centers am Bismarckplatz eine wichtige Rolle. Die sinkenden Schülerzahlen bedeuten entgegen landläufiger Ansicht  nicht in jedem Fall sinkende ÖPNV – Nachfrage, weil die verbleibenden Schüler auf wenige Schulstandorte konzentriert werden und damit zumindest die Reiseweiten ansteigen.

Der Modal Split Anteil des ÖPNV hat sich in Essen von 1986 bis heute von 12 auf 19% gesteigert. Die absoluten Fahrgastzahlen sind trotz sinkender Einwohnerzahl beständig leicht angestiegen. Da aber zugleich der MIV – Anteil gleich geblieben ist,  ging der ÖPNV – Zuwachs zu Lasten des Fußgängerverkehrs. Hier besteht somit Handlungsbedarf. Bei der Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte sehen sich die ÖV – Unternehmen zunehmend im Wettbewerb mit Angeboten der Fahrzeugindustrie.

Im Ergebnis darf sich daher eine Finanzierungskonzeption nicht nur auf eine bloße Fortschreibung des gegenwärtigen Zustandes beschränken, sondern hat schon jetzt künftig erforderlich werdende erhebliche Leistungsausweitungen zu berücksichtigen. Die vorhandene Infrastruktur in Essen könnte gerade noch einen Zuwachs von 10% im Spitzenverkehr verkraften.

Die Kostenstruktur der ÖPNV – Unternehmen verteilt sich aktuell wie folgt:

Personal:                                                    42%

Strom:                                                           4%

Diesel / Erdgas:                                            5%

Instandhaltung:                                             7%

Verwaltung:                                                 10%

Betrieb und Instandhaltung:                         10%

Investition Fahrzeuge und  Bahnhöfe :        22%

Nach Ermittlungen des VDV sind die Personalausgaben derzeit stagnierend bzw. rückläufig, die Restrukturierung hat hier zu Erfolgen geführt. Andererseits wird diese Einsparung durch Mehrausgaben beim Material überkompensiert.

Die Umsatzerlöse sind trotz sinkender Ausgleichsleistungen um 15,2% gestiegen, die Fahrgeldeinnahmen sogar um 38%, andererseits allerdings auch die Aufwendungen um 37%.

Herr Dr. Zierold verwies hier auf einen Schereneffekt: Da nur die Hälfte des Aufwandes durch Erlöse gedeckt ist, müsste bei einer 2 - prozentigen Steigerung des Aufwandes die Erlöse um 4% steigen. Eine Fahrpreiserhöhung in diesem Umfang hält er aber nicht mehr für durchsetzbar.

Für die Darstellung des Finanzierungssystems im einzelnen wird auf die Präsentation im Download – Bereich verwiesen. Der Referent bewertete das System als kompliziert und intransparent. Unzureichend ist nach seiner Auffassung sowohl die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel um 1,5% jährlich, welche nicht mehr ausreicht, den gegenwärtigen SPNV – Bestellumfang beizubehalten.

Bei Verteilung dieser Mittel auf die Länder ist  NRW deutlich benachteiligt. Lediglich  15,8% der Mittel entfallen auf NRW bei einem Bevölkerungsanteil von 21,8%. Hier ist ebenfalls eine Nachbesserung geboten. Innerhalb der Bundesländer werden die Mittel anhand unterschiedlicher Komponenten verteilt, z.B. in Brandenburg nach Fläche, Fahrplanangebot, Aufwand der Kommunen, und Erfolg (Fahrgastzahlen). Diese Komponenten werden zudem auch unterschiedlich gewichtet.

Das GVFG lief in 2007 aus und wurde in das Entflechtungsgesetz überführt, welches wiederum in 2019 ausläuft. Eine bedarfsgerechte Fortschreibung fand bei beiden Gesetzen nicht mehr statt.

Bei der Finanzierung von Investitionen gerät zunehmend die Erneuerung vorhandener Stadtbahnanlagen in den Vordergrund, für welche bislang kein Förderungsinstrument vorhanden ist. Zwar  will das Land NRW solche Erneuerungsmaßnahmen nunmehr auch in seinen Förderrichtlinien berücksichtigen, jedoch zugleich den Fördersatz von 85% auf 90% erhöhen und das Gesamtvolumen der Investitionspauschale von 150 auf 120 Mio. € vermindern, so dass im Ergebnis deutlich weniger Maßnahmen in die Förderung gelangen.

Den Gesamt – Erneuerungsbedarf für ihre Anlagen bis zum Jahr 2050 beziffert die EVAG Incl. Preissteigerungen mit 1,8 Mrd. €.

Für alle NRW – Unternehmen liegt der Bedarf bis 2016 bei 1,1 Mrd. € und für 2017 – 2025 noch einmal bei 2 Mrd.€.   Für die Ersatzbeschaffung von Schienenfahrzeugen werden bis 2025 ca. 2,2 Mrd. € erforderlich sein.

Rücklagen für diese Folgeinvestitionen konnte die EVAG nicht bilden, weil sie die Anlagen zwar von der Stadt zum Buchwert übernehmen musste, jedoch nur Abschreibungen entsprechend dem seinerzeit von der Stadt geleisteten Eigenanteil von 10% geltend machen durfte. Erneuerungsinvestitionen zu 100% sind daher nicht finanzierbar.

Innerhalb der Zukunftskommission werden unterschiedliche Wege aus der Finanzmisere diskutiert:

Durch Kooperationen werden nach den bislang vorliegenden Erfahrungen bis zu 10% bei den Verwaltungskosten eingespart.

Leistungsreduzierungen werden dagegen als kontraproduktiv angesehen, da sie der absehbaren Nachfragesteigerung im ÖPNV völlig zuwiderlaufen und die langjährig bekannte Abwärtsspirale aus Fahrgastabwanderung und weiterer Leistungsreduzierung auslösen.

Für weitere Fahrpreiserhöhungen oberhalb der allgemeinen Preissteigerungsrate ist zumindest im Barverkauf mittlerweile eine Akzeptanzgrenze erreicht.

Für die notwendige GVFG – Nachfolge wird eine Fondsregelung vorgeschlagen, welche die Abhängigkeit der ÖPNV – Investitionen von der jeweiligen Haushaltslage beseitigt.

Als geeignet, aber schwer durchsetzbar angesehen wird zum einen eine Erhöhung der Mineralölsteuer, zum anderen auch die Einführung von Parkraumbewirtschaftung und Pkw – Maut / City – Maut. Falls es nicht gelingt die beiden letztgenannten Instrumente flächendeckend einzuführen, würde dies zu einer Verdrängung des Pkw – Verkehrs in kleinere Städte oder dezentrale Einrichtungen führen, die diese Instrumente nicht einführen.

Weiterhin diskutiert und grundsätzlich als geeignet angesehen werden auch eine Nahverkehrsabgabe nach französischem Vorbild oder standortbezogene Grundbesitzabgaben in Abhängigkeit von der gebotenen ÖPNV – Qualität.

Letztlich gilt es auch, das öffentliche Bewusstsein dafür zu schärfen, dass eine funktionierende Infrastruktur Basis des Gemeinwesens ist. Der VDV wird daher gemeinsam mit anderen Interessengruppen wie ADAC, Automobilindustrie, Versorgungsunternehmen usw. eine Medieninitiative starten, um das Problem Infrastruktur erhalt stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken.

In der anschließenden Diskussion wurde auch die Variante diskutiert, die Tunnelanlagen insb. im Ruhrgebiet langfristig aufzugeben, d.h. auf Verschleiß zu fahren und anschließend die Stadtbahnsysteme durch flexiblere oberirdische Bedienungsformen zu ersetzen.

Die Zuhörerschaft war sich einig, dass angesichts der Bevölkerungsentwicklung und der entlang der Trassen erreichten Siedlungsdichte im Ruhrgebiet heutzutage keine U - Bahn mehr gebaut würde. Andererseits waren die Ruhrgebietsstädte bei der Umsetzung ihrer Tunnelprojekte z.T. auch nicht konsequent. So wurden z.B. in Essen die eigentlich geplanten Anschlusstunnel der Linie 109 nach Frohnhausen bzw. Steele nicht gebaut und stattdessen eine oberirische Schnellstraßenbahn projektiert, für welche nicht einmal ein eigener Gleiskörper geschaffen werden konnte. Letztlich plädierte Herr Dr. Zierold doch deutlich für Erhalt und langfristige Sicherung der bestehenden Tunnelanlagen, da bei der zu erwartenden Zunahme  - vor allem des Lkw - Verkehrs – an der Oberfläche, kaum damit zu rechnen sei, dass Verkehrsflächen für eine hochwertige ÖPNV – Bedienung zur Verfügung stehen könnten.

Präsentation