Finanzierung des ÖPNV, Handlungsbedarf und Empfehlungen der Zukunftskommission ÖPNV

Vortrag von Herr Rechtsanwalt Folkert Kiepe vom 15.10.2013

Am 15.10.2013 referierte Herr Rechtsanwalt Folkert Kiepe Beigeordneter des Deutschen  Städtetages  a.D. zum  Thema „Finanzierung des ÖPNV, Handlungsbedarf und Empfehlungen der Zukunftskommission ÖPNV“

Herr Kiepe war von 1985 bis 2012, zunächst als Hauptreferent und anschließend als Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr des Deutschen Städtetages. tätig.  Seitdem arbeitet er freiberuflich für die Anwaltskanzlei Becker, Büttner, Held, Köln.

Er wurde als Vertreter der kommunalen Spitzenverbände in die von der Landesregierung Nordrhein – Westfalen eingesetzte „Zukunftskommissikon ÖPNV NRW“ berufen

Diese war im Jahr 2011 durch das damalige Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage des Koalitionsvertrages von SPD und Bündnis90/Die Grünen einberufen worden.. Themenschwerpunkte sollten der Investitions- und Sanierungsstau im ÖPNV und die sich gleichzeitig verändernden Finanzierungsgrundlagen, insbesondere die Aufteilung der Regionalisierungsmittel auf Bundesebene und die offenen Fragen zur Entwicklung der GVFG-Mittel sein. Themen wie die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den ÖPNV, die Optimierung der Organisationsstrukturen und die Beseitigung der Tarifvielfalt kamen hinzu. In die Kommission wurden Vertreter der Zweckverbände des Landes, der Fahrgastverbände, der Unternehmensverbände, der Gewerkschaften, der kommunalen Spitzenverbände sowie Vertreter aus der Wissenschaft berufen.

Die ÖPNV-Zukunftskommission NRW nahm im Februar 2012 ihre Arbeit auf. Sie hat mehrere Arbeitsgruppen eingerichtet, um sich angemessen mit der Themenvielfalt beschäftigen zu können. Die Arbeitsgruppen diskutierten Inhalte und die Schwerpunkte der Berichterstattung, Kernergebnisse und insbesondere Empfehlungen wurden in den Kommissions-sitzungen präsentiert und abgestimmt.

Am 11. Januar 2013 wurden dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein – Westfalen Zwischenergebnisse vorgestellt. Die inhaltlichen Arbeiten wurden im Juli 2013 abgeschlossen und in einem Ergebnisbericht zusammengeführt, welcher am 30. August 2013 offiziell übergeben wurde.

Der Bericht ist auf der Seite des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein – Westfalen unter http://www.mbwsv.nrw.de/aktuelle_Meldungen_Startseite/2013_08_30___PNV_Zukunftskommmission/index.php abrufbar.

Auf Bundesebene befasste sich gleichzeitig unter Leitung der ehemaligen Verkehrsminister Daehre, nachf. Bodewig ebenfalls eine Kommission mit Fragen zur gesamten Verkehrsinfrastrukturfinanzierung:

http://www.bmvbs.de/SharedDocs/DE/Artikel/IR/sonder-verkehrsminister-konferenz-02-10-13.html

Die zeitgleiche Vorlage beider Berichte zum jetzigen Zeitpunkt stellt sicher, dass die Thematik in den Koalitionsverhandlungen angemessen berücksichtigt wird.  Da das Entflechtungsgesetz in 2019 ausläuft, muss eine verfassungskonforme Nachfolgeregelung vsl. noch in der Legislaturperiode des jetzt neu gewählten Bundestages erarbeitet und verabschiedet werden. Herr Kiepe hält eine verfassungskonforme, auf Art 104 b Grundgesetz gestützte Regelung ohne Änderung des Grundgesetzes für möglich.

Anschließend erläuterte er den historischen Hintergrund der aktuellen Finanzsituation: Im Jahr 2000 wurde im Zuge der Entflechtung von Bundes – und Landesaufgaben die Mischfinanzierung,  die bislang u.a. im Städtebauförderungsgesetz  StBFG und im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz GVFG zum Tragen kam, abgeschafft, ohne eine adäquate Anschlussfinanzierung sicherzustellen. Die durch das „Entflechtungsgesetz“ bis 2019 bereitzustellenden Mittel sollten ursprünglich entgegen dem festgestellten Bedarf sogar jährlich degressiv abgesenkt werden.

Die Kommission teilte sich in Arbeitsgruppen mit folgenden Themenschwerpunkten  auf:

AG 1:  Status quo Leitbild und Ziele

AG 2: Finanzierung und Rechtsfragen

AG 3: fahrgastbezogene Themen

AG 4: Mobilitätsentwicklungen

AG 5: Organisation

Die von diesen Arbeitsgruppen erarbeiteten Ergebnisse wurden auf ihre finanziellen Auswirkungen untersucht und sodann der Gesamt – Finanzierungsbedarf festgestellt.

Zunächst ist eine erhebliche Benachteiligung von NRW bei der Verteilung der Regionalisierungsmittel festzustellen. Das Land NRW weist jedoch als Ganzes weder eine homogene Siedlungsstruktur, noch eine durchgängige Qualität im Angebot des ÖPNV auf. Das Verkehrsgeschehen konzentriert sich im Wesentlichen auf drei Hauptachsen, die Bevölkerungsentwicklung ist in den Teilräumen z.T. gegenläufig. Weiterhin zu berücksichtigen ist ein geändertes Mobilitätsverhalten im Zuge des demographischen Wandels, sowie der finanziellen Situation. Daher sind aus Sicht des Referenten die Finanzmittel auf Bundes – wie auf Landesebene anhand des dringendsten Bedarfs und nicht mehr anhand von Proporzkriterien zu verteilen. Auch innerhalb von NRW sind in der Vergangenheit keine deutlichen Schwerpunkte bei der Förderung von Infrastruktur gesetzt worden. So hätte der Bau von U – Bahnen nach Meinung des Referenten auf Städte > 600.000 Einwohner beschränkt werden müssen.

Die Ergebnisse der Kommission wurden in den folgenden 10 Kernthesen zusammengefasst:

1.Ausweitung des ÖPNV

Es ist eine 50- bis 100%-ige Steigerung der ÖPNV-Verkehrsleistung erforderlich. Nur hierdurch sind gleichzeitig Klima- und Umweltschutzziele, wirtschaftliche und soziale Ziele zu erfüllen und in Einklang mit den finanziellen Möglichkeiten zu bringen.

2. Integrierte Mobilitätsplanung

Eine integrierte Mobilitätsplanung ersetzt verkehrsträgerspezifische Einzelplanungen auf Landes-,überörtlicher und lokaler Ebene.

Sie ist mit der (strategischen) ÖPNV-Planung sowie Raum-,Siedlungs-, Finanz- und Fachplanungen (insbesondere Bau- und Schulplanung) zu verzahnen.

Alle Verkehre werden gesamthaft berücksichtigt, um Mobilitätsbedürfnisse mit minimalen (Umwelt-)Kosten, mit dem geringstmöglichen Verkehr zu befriedigen.

3. Infrastruktur

Nur leistungsfähige ÖPNV - Infrastrukturen und moderne Fahrzeuge gewährleisten die Mobilität.

Die wünschenswerten Fahrgaststeigerungen erfordern einen langfristig gesicherten, kundenorientierten Ausbau der Infrastruktur.

Bei der Finanzierung sind mehr als bisher die besonderen Probleme der Ballungsräume in NRW mit einer unzureichenden Kapazität und Qualität der überkommenen Infrastruktur und dem überproportionalen Bedarf an Verkehrsleistung und Erneuerungsinvestitionen zu berücksichtigen.

 

4. Finanzierung

Die Benachteiligung von NRW bei der Verteilung der Regionalisierungsmittel ist zu beseitigen. Einen ausschließlich anhand der Einwohnerzahl orientierten Verteilungsschlüssel hält der Referent dagegen nur in Verbindung mit zusätzlichen, raumstrukturellen Faktoren für durchsetzbar.

Weitere Mittel sind vor allem für dringende Erneuerungsinvestitionen erforderlich und mittels neuer Finanzierungsinstrumente z.B. in einer Fondslösung bereitzustellen.

Stärkere Beteiligung der indirekten Nutznießer und Kostenverursacher ist nötig.

Parallelförderungen unterschiedlicher Verkehrsträger sind zu reduzieren.

Großprojekte sind kritischer auf Nutzen und Ausbaustandard zu überprüfen.

 

5.Multi- und Nahmobilität

der ÖPNV soll als multi- und intermodaler Mobilitätsdienstleister weiterentwickelt werden, um eine nahtlose Mobilität von Haus zu Haus („Tür-zu-Tür-Bedienung“) sicherzustellen.

Schaffung eines Komplettangebots aus einer Hand für eine nahtlose Mobilität unter Kombination des ÖPNV-Kerngeschäfts, flexibler Angebote, Taxis sowie weitere Produkte der Kooperationspartner wie Park+Ride, Bike+Ride, Car-Sharing, Fahrgemeinschaftsvermittlungen und Fahrradverleihsysteme.

 

6. Fahrgast

Nachfragegerechte Angebote sind unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse der Fahrgäste zu schaffen.

Um potenzielle Kunden zu gewinnen und an sich zu binden sind neue zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln.(demografische Entwicklung, Alterung der Gesellschaft).

 

7. Angebotsqualität

Definition eines qualifizierten Regionalnetzes für ganz NRW, hinterlegt mit Garantieangeboten, um für die Bürger die Erreichbarkeit ihrer Ziele zu sichern, auch z.B. abends oder dann, wenn kein Pkw zur Verfügung steht.

Sicherung der Mobilität durch flexible Bedienungsformen dort, wo Linienverkehr nicht wirtschaftlich betrieben werden kann.

Vernetzte Mobilitäts-, Informations- und Dispositionsangebote sind zu schaffen und zu koordinieren.

Landesweite Standards und entsprechende Leitfäden oder Beratungsangebote für integrierte flexible Bedienformen sind zu entwickeln.

 

8.Organisation

Die jetzigen Organisationsstrukturen haben sich grundsätzlich bewährt.

Einige Anpassungen zur besseren Ausgestaltung des Leistungsangebots sind aber vorzunehmen, insbesondere im Bereich der Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den Verantwortlichen für den SPNV und den ÖSPV sowie zwischen mehreren örtlich zuständigen Aufgabenträgern.

 

 

 

9. Mobilitätsmanagement

Landesseitige Initiativen zur weiteren Verbreitung des Mobilitätsmanagements sind nötig. Das Land wird aufgefordert, Kommunen, Verkehrsunternehmen und die Wirtschaft zu einer Ausschöpfung ihrer jeweiligen Handlungsmöglichkeiten im

Mobilitätsmanagement zu bewegen.

Fördernde Rahmenbedingungen für die Nutzung des Umweltverbundes im Zuständigkeitsbereich des Landes sind zu schaffen.

Sollte das Prinzip, dass Verkehrserzeuger eine Mitverantwortung für die Lösung der Verkehrsprobleme haben, nicht auf freiwilliger Basis umsetzbar sein, sind ggf. ordnungspolitische Maßnahmen zu ergreifen.

 

10.Technologien

Die zukunftsfähige Umgestaltung des Mobilitäts- bzw. Verkehrssystems wird durch die Nutzung neuer und bewährter vorhandener Technologien geprägt sein, die dem Nutzer das Reisen deutlich erleichtern können (z.B. bessere Informationen bei Verspätungen / Anschlusssicherung).

 

Auf der finanziellen Seite soll der durch die Arbeitsgruppen ermittelte Finanzbedarf in folgender Weise abgedeckt werden:

 

Sicherung bestehender Mittel:

 

Regionalisierungsmittel:

Die künftige Höhe muss vergangene Kostensteigerungen sowie künftig notwendige Infrastrukturvorhaben und Leistungserweiterungen angemessen berücksichtigen.

Wegen zu erwartender weiterer Kostensteigerungen, insbesondere bei Infrastrukturentgelten, muss die Dynamisierungsrate von 1,5% auf 2,5% angehoben werden

Begrenzung der Infrastrukturnutzungsentgelte im SPNV ist zwingend

erforderlich, damit auch Verkehre selbst künftig noch finanziert werden können. untergraben

Streckung des Revisionszeitraums auf 15 Jahre mit dem Ziel einer besseren Planungssicherheit für Bund und Länder

 

Entflechtungsmittel für die Länder / GVFG - Bundesprogramm

Für Investitionen im Neu- und Ausbau ist eine Aufstockung der Entflechtungsmittel nach 2013 auf nachgewiesenen Bedarf von rd. 1,96 Mrd. Euro p.a. zu fordern - der bisherige Ttatus quo ist unzureichend.

Eine Abschmelzung der EntflechtG-Mittel durch den Bund ist verfassungsrechtlich nicht zulässig!

Ab 2020 sollen die Länder bzw. kommunalen Gebietskörperschaften als Kompensation für die entfallenden EntflechtG-Mittel einen eigenen Anteil an der Energiesteuer im Umfang von 3 Cent erhalten.

Erhöhung des GVFG-Bundesprogramms für Großvorhaben im ÖSPV (333 Mio. € p.a.) zur Finanzierung des nachgewiesenen Grundsanierungsbedarfs für die seit den 1970er Jahren entstandenen Infrastruktureinrichtungen;

Fortführung für begonnene / noch zu beginnende Großvorhaben über 2019 hinaus.

(vgl. BR-GE v. 03.05.2013, BR Drs. 312/13)

 

Als neue Finanzierungsinstrumente schlägt die Kommission einen Infrastrukturfonds vor, der durch Einnahmen aus der Mineralölsteuer, eier anzupassenden Lkw – Maut sowie einem „Infrastrukturzuschlag“auf die Einkommensteuer gespeist wird.    Dabei wurden politisch umstrittene Instrumente wie Pkw – Maut, City – Maut, Bus – Maut, Abschaffung  der Entfernungspauschale  und der Dienstwagenbesteuerung als nicht durchsetzbar verworfen. Herr Kiepe berichtete, dass von einigen Juristen gar das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG  als Argument gegen eine Pkw – Maut bemüht werde. Zudem würden die zu erwartenden Mehreinnahmen aus diesen Instrumenten im Vergleich zu dem Aufwand für ihre politische Durchsetzung eher gering ausfallen. Anders einzuschätzen wäre eine Ausweitung der Lkw – Maut auf Landes- bzw. Kreis – und Gemeindestraßen  sowie auf kleinere Fahrzeuge.  Hier würde die Industrie zwar stets zeitnah Modelle anbieten, die eine Mautpflicht umgehen. Dennoch wäre eine Ausweitung auf Landes- bzw. Kreis – und Gemeindestraßen und eine Absenkung der Mautpflichtgrenze auf 7,5 t. wünschenswert.

Die Verteilung der Gelder soll nach Bedarf anhand einheitlicher objektive Kriterien erfolgen, einen Länderschlüssel soll es dabei nicht mehr geben. Hierbei wird allseits akzeptiert, dass bei einer derartigen Verteilung das Geld wird zuerst in den Westen fließen muss, weil dort die Schäden am größten sind.

Als neue Finanzierungsinstrumente, ggf. auf landes- oder kommunale Ebene sind angedacht Nahverkehrsabgabe, differenzierte Grundsteuer sowie Parkraum- und  Stellplatzbewirtschaftung.

In der anschließenden Diskussion waren sich Referent und Zuhörer in der Einschätzung einig, dass der jetzige Zeitpunkt für eine Sensibilisierung der Politik für das Thema ÖPNV – Finanzierung günstig gewählt ist. Die Feststellungen und Empfehlungen beider Kommissionen sind in einer Weise formuliert, die für die  kommende Bundesregierung unabhängig von ihrer Zusammensetzung weitgehend konsensfähig sein sollte.

 

Die zum Vortrag gezeigte Präsentation finden Sie im Download – Bereich.

 

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