Die Virtuelle Vignette
Vortragsveranstaltung vom 26.10.2010, Referent: Herr Dr. Ludger Linnemann
Am 26.10.2010 referierte Herr Dr. Ludger Linnemann von der AGES Maut System GmbH & Co. KG, Langenfeld, zum Thema „Die Virtuelle Vignette“.
Herr Dr. Linnemann stellte zunächst das Unternehmen vor: AGES steht für „Arbeitsgemeinschaft Gebührenerfassungssysteme“. Das Unternehmen ist zurzeit auf zwei Arbeitsfeldern tätig, zum einen für die Lkw – Maut in Deutschland als Partner der Firma „Toll Collect“, zum anderen als Generalunternehmer bei der Abrechung der „Eurovignette“ in Dänemark, Schweden und den BeNeLux – Staaten.
Bei der Lkw – Maut leistet AGES die Registrierung, Zahlungsabrechung und den Rechnungsversand und betreut Buchungsterminals in 3.500 Mautstellen, davon 150 in den angrenzenden Nachbarländern, für die Eurovignette werden 800 Verkaufsstellen vorgehalten.
Ausgangspunkt des Vortrages ist die These, dass Straßenbenutzungsgebühren für Pkw zum Ausgleich des Finanzierungsdefizites im Fernstraßenbau einen wichtigen Beitrag leisten können und daher eine Einführung in naher Zukunft Sinn machen würde. Infolge der Unterfinanzierung im Bereich der Unterhaltung und Instandsetzung hätte der Zustand von mittlerweile 46% der Ingenieurbauwerke den kritischen Warnwert überschritten, bei steigender Tendenz. Zudem wird durch den steigenden Anteil von verbrauchsarmen Kleinwagen oder auch Elektrofahrzeugen mit erheblichen Ausfällen u.a. bei der Kfz- und Mineralölsteuer zu rechnen sein. Andererseits ist auf politischer Ebene eine Erhöhung des Etats kaum durchsetzbar, weil sich die Positiveffekte einer verbesserten Straßenunterhaltung im Wesentlichen als Langfristfolgen, selten jedoch innerhalb einer Wahlperiode einstellen.
Soll daher eine auskömmliche Fernstrassenfinanzierung unabhängig von diesen Wahlzyklen erreicht werden, ist die Einrichtung eines geschlossenen Finanzierungskreislaufes - unabhängig von wechselnden politischen Schwerpunktsetzungen – erforderlich.
Für die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren kommen drei Berechnungsansätze zur Anwendung: ein zeitbezogener Maßstab (Jahres-, Monats-, Wochenvignette), eine kilometerabhängige Maut (wie z.B. die deutsche Lkw – Maut) oder eine streckenbezogene Gebühr (Autobahnmauten in Frankreich, Italien und Spanien).
Für die Erhebung von Pkw – Mauten hält Herr Dr. Linnemann eine pauschale zeitabhängige Maut für sachgerecht, die bei einer angenommenen jährlichen Fahrleistung von ca. 4.000 km auf Autobahnen bei etwa 100.- € pro Fahrzeug bzw. 2-3 Cent / Km liegen dürfte; dies ergibt eine Gesamteinnahme von ca. 4 Mrd. € pro Jahr. Zur Begründung dieser Lösung sind folgende Aspekte maßgeblich:
Zunächst ist bei der Betrachtung anderer Länder in Europa zu berücksichtigen, dass bislang kein anderes Land eine kilometerabhängige Maut erhebt oder eine solche Erhebung plant. Zudem scheidet die Abnutzung der Straße als Begründung einer km-abhängigen Gebühr infolge der nur geringen Belastung der Infrastruktur durch Pkw im Vergleich zum Lkw – es wird ein Verhältnis von 1 : 60.000 angenommen – als Berechungsgrundlage für eine Pkw – Maut aus. Diese wäre stattdessen von Ihrem Wesen her als Bereitstellungsgebühr dafür anzusehen, dass man das Straßennetz jederzeit benutzen kann.
In den durch die Maut zu deckenden Finanzbedarf sollte primär der Aufwand für Betrieb, Unterhalt und Lückenschluß/Ausbau einfließen in Anlehnung an die entsprechende EU-Direktive für LKW. Darin wird auch die Anrechung externer Kosten des Straßenverkehrs für LKW festgelegt; die genaueren Modalitäten sind zurzeit noch durch das Europäische Parlament zu beschließen. In Zukunft ist noch zu diskutieren ob dies bzw. wie viel davon für den PKW übernommen wird.
Ein Lenkungseffekt von Straßenbenutzungsgebühren zur Vermeidung von Verkehrsstaus (congestion charge) wird ebenfalls durch die EU-Directive angestrebt. Deren Wirkungsweise wird jedoch durch den Referenten in Frage gestellt.. Zur Begründung führte Herr Dr. Linnemann den Umstand an, dass bundesweit nur eine Minderheit (38%) der registrierten Verkehrsstaus tatsächlich auf Streckenüberlastung beruhe, der überwiegende Teil hingegen Folge von Unfällen und Baustellen und damit monetären Anreizsystemen entzogen sei. Weiterhin seien die Reaktionselastizitäten vieler Verkehrsteilnehmer auf Preissignale so gering (z.B. bei LKW mit fixen Lieferverpflichtungen), als dass sie ihr Fahrverhalten in nennenswerten Umfang ändern könnten.
Das Mauterhebungssystem „Virtuelle Vignette“ verzichtet auf den Einbau besonderer Hardware in Pkw, erforderlich wären hier andernfalls ca. 40 Mio. Geräte für inländische und X Mio. für ausländische Fahrzeuge. Stattdessen soll die Einbuchung in das System über Verkaufsstellen, das Internet und Vertriebspartner (z.B. Versicherungen, Automobilclubs) erfolgen. Die Buchungen werden dann in einer Datenbank verschlüsselt gespeichert. Der Fahrzeughalter muss hierzu lediglich das Kfz – Kennzeichen eingeben und den Zahlbetrag für seine Vignette mit den üblichen elektronischen Zahlungsmitteln begleichen. Die Überwachung erfolgt durch mobile Kameras oder andere Kennzeichenerfassungssyteme an den Autobahnen, wobei die erfassten Kennzeichen mit der Datenbank verschlüsselt abgeglichen werden, und bei festgestellter Mauthinterziehung eine automatisierte Nacherhebung / Bußgeldbescheid erstellt wird. Der Vorteil dieses Systems liegt in den vergleichsweise geringen Investitionen in Hardware – zu errichten wären lediglich Zahlungsterminals an Tankstellen und ein abgesichertes Datenbanksystem. Zudem entfällt ein nachträgliches Abrechungsverfahren basierend auf einer aufwändigen Kundenverwaltung. AGES geht davon aus, dass rund 5% der jährlichen Mauteinnahmen alle anfallenden Kosten inklusive der Vorlaufkosten für den Aufbau des Systems decken können.
Ausländische Nutzer haben einen einfachen und diskriminierungsfreien Zugang zu dem System. Datenschutzrechtlich ist es auch unbedenklich, da die Erfassung persönlichen und von Bewegungsdaten entfällt - im Gegensatz zu einer kilometerabhängigen Bemautung.
Die anschließende lebhafte Diskussion zeigte viel Zustimmung zu dem vorgestellten System und erbrachte ein kontroverses Meinungsbild in der Frage der verursachergerechten Kostenanlastung. Auch wenn der Pkw – Verkehr insgesamt nur für einen geringen Teil der Infrastruktur – Abnutzung verantwortlich sein sollte, hatte ein Teil der Zuhörer durchaus Bedenken gegen eine vollständige Gleichbehandlung von Viel – und Gelegenheitsfahrern auf Autobahnen. Der Referent verwies in diesem Zusammenhang auf die gesetzgeberischen Möglichkeiten, die Maut u.U. auch nach Fahrzeugtyp, Schadstoffaussstoß oder anderen Kriterien zu differenzieren und so bei Bedarf eine gewisse Lenkungswirkung zu erzielen. Außerdem sei eine Straßenbenutzungsgebühr in Deutschland, bei der Pendler über Gebühr belastet würden gesellschaftlich und politisch nicht durchsetzbar.
Die zu diesem Vortrag gezeigten Präsentationsfolien finden Sie im Download - Bereich